Der Stadtneurotiker (1977)

Verfasst von Michael am 6. Mai 2016

Man könnte vielleicht meinen, dass vier knappe Sätze über den Inhalt für einen Filmklassiker wie „Der Stadtneurotiker“ eigentlich viel zu wenig sind. Doch weit gefehlt. Die vier Sätze treffen den Nagel um was es in dem Film geht ziemlich auf dem Kopf. „Der Stadtneurotiker“ ist eine Analyse einer Liebesbeziehung. Zum Teil mit Rückblicken versehen, verfolgt man im Grunde den ganzen Film über eben genau die Beziehung zwischen Alvy und Annie.

Warum der Film trotz der auf den Blick dünnen Story funktioniert ist zum einen Woody Allen in seiner Funktion als Regisseur und Drehbuchautor zu verdanken. Allen ist es gelungen ein Drehbuch zu schreiben, welches den Zuschauer von Beginn an gefangen nimmt und Lust darauf macht die beiden Hauptfiguren näher kennen zu lernen. Wer ist Alvy Singer? Und warum ist er wie er ist? Zwei Fragen, die so auch für die weibliche Figur Annie Hall gestellt werden können.

Allen gelingt es dabei absurde Szenen glaubhaft zu inszenieren und diese dafür zu nutzen die Charaktere weiter zu erklären. Als Beispiel sei hier eine Szene genannt, in der Annie Hall Alvy Singer mitten in der Nacht aus dem Bett klinget, damit dieser vorbei kommt um bei ihr eine Spinne zu töten. Was bei anderen Regisseuren vielleicht albern und aufgesetzt gewirkt hätte, wirkt bei Allen so perfekt in den Film integriert, dass man durch diese schräge Szene wirklich etwas über die Charaktere und auch über die Liebe lernt.

Doch es ist nicht nur Allens Regiearbeit und sein Drehbuch was den Film zu einem Klassiker macht, es sind auch die beiden Hauptdarsteller. Woody Allen hat es sich nicht nehmen lassen selbst in die Rolle der Hauptfigur Alvy Singer zu schlüpfen und zeigt hier, dass er nicht nur das Handwerk hinter der Kamera versteht. Er spielt den neurotischen Singer so, dass man sich sofort in seine Figur hineinversetzten kann und schlussendlich auch seine absurdesten Aktionen nachvollziehen kann.

Gleiches gilt für Diane Keaton (Was das Herz begehrt, Marvins Töchter). Wie Allen gelingt es ihr ihre Figur so überzeugend zu spielen, dass man von ihrem ersten Auftritt wissen will, wie sich Annie Hall über die Laufzeit weiter entwickelt und sich von der ersten Begegnung der beiden Protagonisten wünscht, dass „Der Stadtneurotiker“ auf ein Happy End zusteuert. Nicht umsonst erhielt Woody Allen eine Oscarnominierung als bester Hauptdarsteller und nicht umsonst konnte Diane Keaton den Goldjungen als beste Hauptdarstellerin gewinnen.

Für mich ist „Der Stadtneurotiker“ das perfekte Beispiel wie ein romantische Komödie aussehen muss. Allen hat es verstanden, dass in erster Linie die Charaktere stimmen müssen und das die Chemie zwischen diesen passen um einen guten Film abzuliefern. Genauso hat er verstanden, dass im zweiten Schritt die Gags funktionieren müssen, dabei aber ein gewisses Niveau gehalten werden muss und man den Zuschauer durchaus etwas fordern darf und ihn zum mit- und Nachdenken bringen darf. So ist „Der Stadtneurotiker“ auf Grund der Tatsache, dass auch hier nicht alle Witze funktionieren vielleicht kein Meisterwerk, aber sehr nah dran an einem solchen und ein Film, den sich jeder, der sich auch annähernd als Cineast bezeichnet mindestens einmal im Leben gesehen haben sollte. Allen ist mit „Der Stadtneurotiker“ ein echter Klassiker gelungen. [Sneakfilm.de]