Blood Simple (1985)

Written by Kalla Malla on November 2, 2014

Eine wüste Geschichte, bluttriefend, und herrlich schauerlich. Im öden, heißen Texas, an einer gottverlassenen Straße, liegt eine vergammelte Kneipe. Der Besitzer ist ein Finsterling, und seine hübsche Frau geht mit Ray, dem Barkeeper, durch. Der Mann läßt sie beschatten, versucht sie gewaltsam zurückzuholen, heuert schließlich einen schmierigen Privatdetektiv an, das buhlerische Paar umzubringen. Aber der käufliche Schuft täuscht ihn mit falschen Fotos, kassiert seine 10.000 Dollar und knallt den Auftraggeber ab. Ray findet seinen Boß, der noch ein bißchen lebt, hält seine Geliebte für die Täterin und vergräbt den Körper. Da hält sie ihn für den Mörder. Der tatsächliche Killer merkt, daß er die Ehebrecher doch umlegen muß. Bei Ray ist das relativ einfach, bei ihr wird es etwas schwieriger...

Der mufflige Alte, seine geile Frau, der junge, ein bißchen langweilige Liebhaber, der abgewrackte Privatdetektiv. Sex, rohe Gewalt, Mord. Man hat sowas unendlich oft gesehen. Eine Bar, ein Motel, nächtliche Highways und Felder, stickige Wohnhöhlen. Schuld, Angst, Haß, Betrug, Eifersucht. Aus diesem klassischen Nichts an Story haben die Brüder Ethel und Joel Coen das verblüffendste, seit Jahren erfolgreichste US-Debut gemacht, eine krude Mixtur der unerwarteten Wendungen und tragischen Mißverständnisse, der Lügen, falschen Beschuldigungen und schrecklichen Zufälle, ein virtuoses Spiel mit üblichen Erwartungen, Genre-Varianten und stilistischen Pirouetten.

Mit fahlen, flachen Landschaften, ineinandergeblendet, beginnt der Film. Dazu ein paar grimmige Zynismen über die Menschen im allgemeinen und die in Texas im besonderen. Dann eine nächtliche Autofahrt im Regen, das junge Paar nur als Schatten. Mit drei Dialogsätzen ist ihre gesamte Situation erklärt. Ein VW scheint ihnen zu folgen, sie halten, er auch, er fährt weiter, sie auch. Schnitt, ein Motel, die zwei im Bett. Schnitt, der nächste Morgen, ein Anruf: »Amüsiert Ihr Euch?« Mehr nicht. »Wer war das«, will sie wissen. »Ich glaube Dein Mann.«

Lakonisch wird ein Handlungsskelett mitgeteilt, eine Art Quintessenz unzähliger Krimis, Dreiecksgeschichten, James-M.-Cain-Verfilmungen und 40er-Jahre-Melodramen. Alles bekannt, alles »déjà vu«. Und trotzdem schaffen gleich die ersten Bilder eine magische, beunruhigende Spannung, eine lastende, lauernde Atmosphäre, die wie ein Sog wirkt, wie eine geheimnisvolle Verzauberung. Man denkt an »The Postman Always Rings Twice« und an »Body Heat«, das unselige Kleeblatt des Films scheint der schicksalsschweren Melancholie eines existentialistischen Dramas ausgesetzt zu sein, und die dunklen Farben, kalt, mit blassen Neon-Farben durchsetzt, verstärken noch die morbide Düsternis dieses »Play it again«.

Die Geschichte ist reine Kolportage und bleibt immer sekundär, wird fast achtlos und nebenbei erzählt, in lauter Nebensächlichkeiten aufgelöst. Aber die Details, gestylt und visualisiert wie Kunstobjekte, treiben den Film voran. Ein Stil als effektiver Inhalt, ohne daß seine sinistre Eleganz je zum Selbstzweck würde. Einmal sieht man das Paar in Rays Wohnung, dumpf und beklommen (weniger ihre sexuellen Gier hat sie zusammengebracht als die Langeweile und der Haß auf ihren Mann). Sie setzt sich zu ihm ans Bett, die Kamera erfaßt den Kopf. Seine Hand zieht sie zu sich runter, die Kamera verharrt auf der Jalousie, die Einstellung blendet in grelles Weiß über, dann in eine Morgenstimmung, und sie richtet sich wieder auf, d.h. ihr Kopf rückt wieder ins Bild. Die spröde Starre des Bildes vermittelt den Eindruck, daß diese Liebesnacht nicht die helle Freude war, eher wohl eine mechanische Rammelei, um Schuldbewußtsein und trübe Gedanken zu vertreiben, und die Weißblende lädt ein zu allen möglichen Assoziationen: Höllenfeuer oder die Verbrennungsanlage hinter der Kneipe, in der nach dem Plan des betrogenen Ehemanns ihre Leichen verschwinden sollen? Das Blitzlicht des Privatdetektivs, von dem wir wissen, daß er ums Haus schleicht, oder die Garbe seiner tödlichen Schüsse? Vielleicht hat er das Haus in Brand gesteckt? Man kombiniert, rätselt und läßt sich düpieren, mit Lust.

Geschickt balancieren die Coens mit schwülem Horror und schwarzem Humor. Ray hat die Leiche ins Auto geschleppt, fährt los in die Nacht, hört plötzlich ein Stöhnen, stoppt und rast, vom Grauen gepackt, ins Feld. Er kommt zurück, der »Tote« kriecht mit letzter Kraft um den Wagen, Ray will ihn überfahren oder erschlagen, schafft es nicht, hebt eine Grube aus und zerrt ihn rein. Plötzlich richtet der Sterbende eine Pistole auf ihn, Ray kann sie ihm entwinden, schaufelt wild los und sieht nicht hin, denn die Erde zuckt noch und bäumt sich auf.

Der Schlußkampf zwischen der Frau und dem Killer, ähnlich kulinarisch zerdehnt, wartet mit weiteren makabren Volten auf. Man möchte grinsen und starrt doch nur entsetzt auf die Leinwand, Alles ist grausig und grotesk, hat Krimi-Intensität und die Insider-Komik von genüßlich zitierten Horror und Thriller-Versatzstücken. Ein Nocturno als Scherzo. Joel Coen: »The subject matter was grim but the tone was up-beat.« Das gilt besonders für die sarkastische Beiläufigkeit, mit der Leitmotive und kleine Widerhaken den tragischen Fatalismus des Geschehens ironisieren, etwa die Fische auf dem Schreibtisch des ersten Opfers (man spürt ihren Gestank), die Mordwaffe, die von Hand zu Hand geht und immer neue Irrtümer auslöst, liegengelassene Indizien und stümperhafte Spurenbeseitigung oder Bilder aus Alpträumen, die schreckliche Realität werden, und jenes Schild aus der Straßenkneipe, das den kaltschnäuzigen Mörder und den blut- und dreckverschmierten Mordvertuscher und nicht weniger den Zuschauer schaurigschön irritert: »Alle Angestellten müssen sich die Hände waschen, bevor sie die Arbeit aufnehmen.«

Seine Ambiguität erreicht der Film vor allem durch seine hinterlistige Erzählerperspektive. Jede Figur kennt nur Teilwahrheiten und tappt im Dunkeln. Wir wissen immer etwas mehr, aber auch nicht alles, und folgern bei jeder neuen Wendung einmal für uns, zum andern für die jeweilige Figur: was sie zu diesem Zeitpunkt wissen kann, was sie jetzt zwangsläufig denken muß und was sie schlußfolgern wird - fälschlich, natürlich. Oder möglicherweise. Es ist wie im Kasperletheater, wo die Kinder ihrem Helden zurufen: »Paß auf, der Teufel steht hinter Dir«, und noch nicht wissen, daß sie ihrerseits Schein und Sein verwechselten. Denn hier ist nichts, was es zu sein vorgibt: Tote leben wieder, Fotos sind getürkt, Pistolen nicht geladen, evidente Spuren und Motive führen ins Nichts.

Ein solcher Erstlingsfilm, immer etwas überfrachtet und übertrieben, voller Kino-Referenzen, aber effektvoll und spannend und wie aus einem Guß, ist wohl nur in den USA möglich, weil es nur im Kinoland Amerika Filmnarren wie die Brüder Coen aus Minneapolis gibt. Ethel, 27, hat in Harvard studiert, Joel, 30, war in der Filmklasse der New Yorker Universität. Sie schwärmen von Tarzanfilmen, dem Muskel-Mimen Steve Reeves, von Bob Hope, Jerry Lewis, Tony Curtis, Doris Day, Don Murray - von populären Stars, nicht von Regisseuren. Als Jungen drehen sie Super-8-Versionen ihrer Lieblingsfilme. Sie schrieben Scripts für Horror-B-Pictures, kennen alles von Chandler, Hammett und Cain, nennen sich Robby-Müller-Fans (besonders schätzen sie seine Kamera im »Amerikanischen Freund«) und sahen sich vor Drehbeginn (genauso übrigens wie Lawrence Lasdan vor seinem Debüt »Body Heat«) die Filme »Der dritte Mann« und Bertoluccis »Der Konformist« an. 20 Monate brauchten sie, um die 1,5 Millionen Dollar Produktionskosten aufzutreiben (in den USA ein lächerlich niedriges Budget), ein Jahr für den Schnitt, ein weiteres, um einen Verleih zu finden. Uber die Kritik wurden sie dann zum Geheimtip. Sie wollen auch künftig zusammenbleiben und strikt unabhängig von Hollywood arbeiten.

Manchmal sind diese zwei Jungprofis und ihr Kameramann Barry Sonnenfeld etwas zu smart, zu film- und selbstbewußt. Das optische Pathos (bei allem szenischen Understatement), die delirierende Steadycam-Kamera, das maulfaule, aber überhöhte Stakkato der Dialoge mit ihrem zerknautschten texanischen Jargon, die unheilvolle, brütende Schwere im Spiel der Darsteller (wobei die zwei Schurken viel stärker faszinieren als das junge Paar), die vielen Verfremdungen, Stilisierungen, indirekten Verweise und Hommagen (Hitchcock und sein Dauer-Plagiator de Palma lassen grüßen, eine Einstellung ist direkt aus »Citizen Kane« genommen) — das ist alles perfekt und souverän gemacht, aber nicht frei von der intellektuellen Koketterie mit rüden Schocks und taffen B-Pictures. Die Coens wissen grandios zu imponieren und ihren Ekletizismus, ihre subtile Kenntnis der »Schwarzen Serie«, ihre Virtuosität wie eine neue Originalität zu präsentieren. Andererseits zitieren sie nicht bloß, wie Lucas und Spielberg, das populäre Unterhaltungskino ihrer Kindheit, sondern jonglieren sehr clever mit dessen Konventionen und Mechanismen.

Fazit. Die Coen-Brothers wollten einen Film über alte Filme machen, aber unterhaltsam, einen Schocker, aber lustig. »Blood Simple« ist kein Kunstwerk, sondern Gebrauchskino, aber eines, das einen hohen Grad an Filmkultur und -tradition und -bewußtsein verrät. Ein Debüt mit dem verwirrenden Charme, der Arroganz und der Chuzpe eines kalkulierten Kultfilms.