Phenomena (1985)

Written by Kalla Malla on August 25, 2012

Jennifer Corvino, die Tochter eines berühmten Schauspielers, reist aus den USA in die Schweiz, um dort in Zürich ein Mädcheninternat zu besuchen. In der renommierten Einrichtung erntet Jennifer aufgrund einer besonderen Gabe, durch welche sie eine telekinetische Verbindung zu Insekten herzustellen in der Lage ist, von Anfang an die Missgunst ihrer Mitschülerinnen und der herrischen Rektorin. Kurz nach ihrer Ankunft wird die Amerikanerin außerdem mit den Geschichten um einen Mädchenmörder konfrontiert, der bereits seit einiger Zeit sein bestialisches Handwerk in dieser Gegend verrichten soll und dem bereits mehrere junge Frauen zum Opfer gefallen sind. Anhaltspunkte über die Identität des Serienkillers gibt es bislang nicht, doch erhofft sich die ansässige Kantonspolizei nach dem Fund des bereits halb verwesten Kopfes des letzten Opfers die Hilfe des Entomologen John McGregor, der anhand der Insekten den Grad der Verwesung und damit auch den Zeitpunkt des Mordes bestimmen kann. Durch einen Zufall lernt Jennifer den gelähmten und an den Rollstuhl gefesselten Forscher kurz darauf kennen, der sich von ihrer außergewöhnlichen Begabung, zu den Insekten Kontakt aufzunehmen, hellauf begeistert zeigt. Als der Killer kurz darauf erneut zuschlägt und am Tatort einen von den Larven einer seltenen Fliegenart bedeckten Handschuh hinterlässt, kommt dem Professor die Idee, dass Jennifer sich mit der Hilfe einer dieser Fliegen direkt zum Aufbewahrungsort der Leichen führen lassen könnte. Der Plan scheint zu funktionieren, bringt Jennifer jedoch alsbald in höchste Gefahr, denn der Killer ist sich seiner Verfolgerin längst bewusst...

Phenomena ist die zehnte Regiearbeit des für seine Horrorfilme legendären Kultregisseurs Dario Argento und entstand im Jahre 1985 zu einem Zeitpunkt, als die Nachfrage zu einer Fortsetzung der Mütter-Reihe, welche mit dem 1977 inszenierten Suspiria begann und mit Inferno aus dem Jahre 1980 erstmals fortgeführt wurde, langsam ins Unermessliche wuchs. Argento jedoch verfolgte seine eigenen Pläne und widmetete sich, nachdem er das Genre des Giallos mit Tenebre 1982 zunächst einer Frischzellenkur unterzog, mit Phenomena schließlich seinem, wie er es in Interviews oftmals nannte, persönlichsten Werk. Tatsächlich dürfte Phenomena seinerzeit für einige Überraschung gesorgt haben, bewegte sich Argento mit diesem außergewöhnlichen Film doch weit fernab der Erwartungen und inszenierte einen märchenhaft angehauchten Horrorthriller mit eindeutig übernatürlichen Akzenten, der die Lager spaltete und bis heute einen zwiespältigen Ruf genießt. Während die einen in Phenomena, der in vielen Ländern auch als Creepers vermarktet wurde, den wohl schwächsten Eintrag in Argentos Filmographie erkennen wollen, teilen die anderen die Liebe des Regisseurs für das Werk und listen es mit zum Besten, was der Italiener in seinen Glanzzeiten auf Zelluloid bannte. Derartig differenzierte Ansichten ändern letzten Endes jedoch nichts daran, dass Phenomena ob seiner phantasievollen Aufmachung, der einfallsreichen Geschichte und den für Argento typischen, inszenatorischen Spielereien bis heute nichts an seiner unvergleichlich dichten Atmosphäre verloren hat, die ihn ohne weiteres zu einem der großen Klassiker des Horrorfilms erhebt.

Stattete Argento mit Suspiria wenige Jahre zuvor noch den deutschen Landen einen Besuch ab, so versetzt Phenomena die Handlung in die Schweizer Alpen, die sich hier schon in der Anfangssequenz als fulminante und perfekte Kulisse für einen solchen Film erweisen. Wie gewöhnlich entzieht der Regisseur den Schauplätzen dabei die Fesseln der urbanen Realität, wodurch dann plötzlich sogar einem einladenden Postkartenidyll etwas Unheilvolles, Düsteres anhaftet, welches sich durch die gesamte Szenarie hindurch bemerkbar macht. Während andere Inszenatoren des Genres selbst in den dunkelsten Kulissen keinen Funken Atmosphäre zustande bringen, wirkt unter Argentos Fittichen bereits eine sonnendurchflutete Wiese in den Schweizer Alpen wie ein Hort des brodelnden Wahnsinns, in dem sich der Schrecken zu jeder Sekunde spürbar auf den Sprung aus der Lauer vorzubereiten scheint. Dem erwartungsgemäß formvollendeten Gespür für visuelle Ästhetik und unheilschwangere Dramaturgie steht hier eine Story gegenüber, die ihre Anleihen um eine Reihe grausamer Morde an jungen Frauen in den klassischen Spielweisen des Giallos und des Horrors findet und diese um ein übernatürliches Element bereichert. So ist die Hauptprotagonistin Jennifer in der Lage, eine telekinetische Verbinung zu Insekten aufzubauen, was sich schließlich äußerst hilfreich auf die potentielle Ergreifung des Mörders auswirkt, das Mädchen jedoch auch direkt in dessen Visier bringt. Trotz einfallsreicher Variationen eines bekannten Schemas wurde Phenomena, ebenso wie den meisten anderen Werken Argentos, von vielen Kritikern eine dünne und zweckdienlich spartanische Story zugeschrieben und so ganz ist dieses Argument nicht von der Hand zu weisen. "Style-over-Substance" ist im Falle dieses Films jedoch weniger ein Vorwurf, als vielmehr die treibende Kraft, die hinter den soghaften und beunruhigenden Bildern der 111-minütigen Spieldauer arbeitet.

Ähnlich Suspiria gleicht auch Phenomena einem klaffenden Schlund ins Unterbewusstsein, einer wirren und nicht immer den Regeln der Kontinuität folgenden Geisterbahnfahrt durch die Albträume Dario Argentos, auf die man sich ohne Frage bereitwillig einlassen muss, um dem Werk nicht irgendwann eine gewisse Langatmigkeit einzuräumen. Auch würde die erzählte Story über telepathische Verbindung zu Insekten, trainierten Schimpansen und solcherlei Einfälle mehr unter der Regie eines anderen Filmemachers an einigen Punkten wohl schnell an der Grenze zur Lächerlichkeit vorbeischrammen, weshalb es hier einmal mehr Argentos atmosphärischem Gespür zuzuschreiben ist, dass der Zuschauer auch die platten oder gewöhnungsbedürftigen Aspekte des Geschehens anstandslos für bare Münze nimmt. Als weit weniger gefällig erweist sich da die Entscheidung des Regisseurs, einige Szenen mit seiner damals offensichtlich neu entdeckten Leidenschaft für harte Rocksounds in Verbindung zu bringen, so dass das Publikum während einigen der düsteren Mord- oder Verfolgungssequenzen plötzlich dem Heavy Metal solcher Bands wie Iron Maiden, Motörhead oder der Andi Sex Gang lauschen muss. Dies erweist sich schon nach kürzester Zeit als gewaltige Fehlentscheidung, da sich das penetrante Geschrammel in keinster Weise mit dem unheimlichen Kontext dieser Szenen vereinbaren lässt und ihnen beinahe jeden subtilen Grauen nimmt. Die reinste Wohltat hingegen ist der über jeden Zweifel erhabene Synth-Score von Argentos obligatorischer Hausband Goblin, die hier einmal mehr ebenso bezaubernde wie verstörende Progressive-Melodien aus dem Ärmel schütteln, wie man sie in dieser Form heute schlichtweg nicht mehr vorfindet.

Als reines Horrorkino betrachtet, verlangt Phenomena seinem Publikum zweifellos eine gewisse Geduld ab, da es zunächst die sorgsam voranschreitende Story und eine damit einhergehende, alles umgreifende Atmosphäre ist, die den hauptsächlichen Teil des Films ausmacht und nur vereinzelt durch einige spannend aufgebaute Morde den Konventionen des Genres unterliegt. Erst gegen Ende erfährt der bis zu diesem Zeitpunkt sehr auf übernatürliche Suspense ausgelegte Film plötzlich eine abrupte Wendung und entlädt sich in einem drastisch brutalen Finale, mit dem in dieser Form schon gar nicht mehr unbedingt zu rechnen war. Hier zeigt sich Argento dann in zeigefreudiger, schonungsloser Hochform, dessen Höhepunkt ein unfreiwilliges Bad Jennifers in einem Pool voller verfaulter, menschlicher Kadaver und tausender Maden darstellt, was zartbesaiteten Zuschauern wohl ebenso auf den Appetit schlagen dürfte wie einige kleinere Goreszenen, bei denen wir dann unter anderem einer Enthauptung oder einer Verstümmelung mit einem Rasiermesser beiwohnen dürfen. Unnötig viele Schockeffekte wird der geneigte Genrefreund hier allerdings vergeblich suchen, da diese der Intention des Filmes als surreal anmutendes Horrormärchen onehin nur im Wege stünden und somit zu keinem Zeitpunkt aus bloßem Selbstzweck vorhanden sind. Das Werk findet seine Stärken hauptsächlich in der Zelebrierung seiner enorm dichten Atmosphäre, die ohne einen Cast großartiger Schauspieler in dieser Form zudem gar nicht möglich gewesen wäre. So wurde die Hauptrolle mit der damals erst 14-jährigen Jennifer Connelly besetzt, welche vielen noch aus Jim Hensons Fantasyfilm Die Reise ins Labyrinth in guter Erinnerung sein dürfte und die zum jetzigen Zeitpunkt längst eine beachtliche Hollywoodkarriere vorweisen kann. Doch während Connelly heute in Filmen wie Blood Diamond oder Haus aus Sand und Nebel zu begeistern weiß, erwies sie sich bereits für Phenomena als absoluter Glücksgriff, da man der jungen und charismatischen Schönheit die Rolle ihrer telekinetischen Namensvetterin Jennifer sofort abkauft. In einem weiteren Part schlüpft derweil kein geringerer als Donald Pleasence, den die meisten Horrorfans sofort als Dr. Sam Loomis aus Halloween wiedererkennen dürften, in den ihm wie auf den Leib geschrieben Part des an den Rollstuhl gefesselten Mentors der Hauptprotagonistin, der hier, einzig auf sein markantes Minenspiel angewiesen, ebenfalls keine Wünsche offen lässt. Als kleine Randnotiz ist derweil noch der schauspielerische Auftritt eines gewissen Michele Soavi festzuhalten, der sich inzwischen allerdings weniger durch seine darstellerischen Glanzleistungen, als vielmehr durch seine hervorragenden Regiearbeiten einen Namen machen konnte, von denen wiederum insbesondere die groteske Zombiegeschichte Dellamorte Dellamore einen mehr als vorauseilenden Ruf genießt.

Fazit: Kultregisseur Dario Argento schuf mit Phenomena vor inzwischen mehr als 25 Jahren einmal mehr einen inszenatorischen Geniestreich, der Fans des Genres in seiner atmosphärisch dichten Aufbereitung als unheilvolles Horrormärchen bis heute völlig zu Recht begeistert. Mit seinen übernatürlich geprägten Einflüssen setzt Phenomena dabei nicht nur interessante, neue Akzente, sondern ebnet sich auf perfide Art und Weise vielmehr einen direkten Weg in das Unterbewusstsein des Publikums, von wo aus Argento das volle Potential seines surrealen Albtraums auszuspielen weiß. Einzig und allein der mitunter sehr deplatziert wirkende Hardrock-Score trübt den Genuß dieses unumstrittenen Klassikers etwas, wird dann aber von einer allgegenwärtigen, bedrohlichen Spannung, großartigen Schauspielern und einigen effektiven Gewaltspitzen mühelos wieder wett gemacht. Dies und noch mehr macht dieses Werk nicht nur zum unausweichlichen Pflichtprogramm für Liebhaber des Genres, sondern darüber hinaus auch zu einem der bedeutendsten Beiträge zum europäischen Horrorkino der letzten Jahrzehnte.